Kurzsichtig, rückwärtsgewandt und undemokratisch
Wie KVen ambulant angestellte Ärzte um ihr Wahlrecht bringen und damit vor allem Ärztinnen benachteiligen
Von Jörg Ziegler
Wer in den zurückliegenden Wochen das Gebaren der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin und ihres Pendants in Brandenburg beobachtet hat, der ist unweigerlich zu dem Schluss gekommen, dass angestellte Ärztinnen und Ärzte dort nicht sonderlich gelitten sind. Ein Blick in die Satzungen beziehungsweise auf jüngste Beschlüsse offenbart dies nachdrücklich.
In beiden Selbstverwaltungen wurden Satzungsänderungen angestoßen, die es einem Teil der angestellten Ärztinnen und Ärzte, die in Einzelpraxen, Gemeinschaftspraxen und MVZ ambulant tätig sind, eine Mitgliedschaft in der jeweiligen KV verwehren. Dabei ist diese Mitgliedschaft Voraussetzung dafür, um etwa an den Wahlen zur Vertreterversammlung (VV) teilnehmen zu können – ganz gleich ob als Wahlberechtigter oder sogar als Kandidat (aktives und passives Wahlrecht).
§77 Abs.3 Satz 2 Sozialgesetzbuch (SGB) V sieht dazu vor, dass angestellte Ärztinnen und Ärzte nur dann Mitglied in der zuständigen KV sind, wenn sie „mindestens halbtags beschäftigt“ sind. Nun ist dieser Passus bedauerlicherweise derart unkonkret, dass er aktuell entweder arbeitsrechtlich oder „bedarfsplanungsrechtlich“ ausgelegt wird.
Jetzt sollte man annehmen, dass im Wege der Demokratie gerade die Selbstverwaltungen ein hohes Interesse daran haben, im Sinne aller Ärztinnen und Ärzte auszulegen. Ergo: dafür zu sorgen, dass möglichst viele wählen beziehungsweise gewählt werden können. Weit gefehlt.
Die Kassenärztlichen Vereinigungen Berlin und Brandenburg legen den zeitlichen Umfang arbeitsrechtlich aus, was dazu führt, dass etwa in der Satzung der KV Berlin eine Halbtagsbeschäftigung ab einer vertraglich vereinbarten Arbeitszeit von mindestens 20 Stunden beginnt. Und die VV in Brandenburg hat erst Mitte März eine entsprechende Satzungsänderung verabschiedet. Sie bedarf jetzt nur noch der Genehmigung durch das brandenburgische Gesundheitsministerium als verantwortlicher Aufsichtsbehörde.
Dass es auch anders geht, nämlich tatsächlich im Sinne aller Ärztinnen und Ärzte, belegt das Beispiel der KV Baden-Württemberg. Dort interpretiert man den §77 Abs.3 Satz 2 SGB V im Sinne eines „hälftigen Versorgungsauftrags“, indem dort ein bedarfsplanungsrechtlicher Ansatz gewählt wird. Danach reichen für die KV-Mitgliedschaft bereits mehr als 10 Wochenstunden in ambulanter Anstellung aus. Das ist schon insofern fairer, weil angestellte Ärztinnen und Ärzte bereits ab einer vertraglich vereinbarten Arbeitszeit von 10 Wochenstunden einen „hälftigen Versorgungsauftrag“ innehaben, folglich also einen halben Vertragsarztsitz „besetzen“. Und vor diesem Hintergrund ist eine Mitgliedschaft in der KV – und somit das damit einhergehende Wahlrecht – nur recht und billig.
Dies sieht im Übrigen auch die KBV als Dachorganisation so. Auf MBZ-Anfrage teilte diese mit, dass mit „mindestens halbtägige Beschäftigung“ in der Regel „eine halbe Stelle“ gemeint ist, „die Stundenintervalle von zehn bis 20 Stunden/Woche umfasst“. Gemäß Bundesarztregister 2015 der KBV fallen bundesweit rund 7.000 der insgesamt mehr als 26.000 ambulant angestellter Ärztinnen und Ärzte unter besagtes Stundenintervall.
Mit ihrer Interpretation ist die KBV auch auf der Linie des Bundessozialgerichts, das zumindest in der Terminologie seiner Rechtsprechung darauf abstellt, dass angestellte Ärztinnen und Ärzte einen vollen oder hälftigen „Versorgungsauftrag“ wahrnehmen. Dies entspricht der bedarfsplanungsrechtlichen Betrachtungsweise.
Das schert die KVen Berlin und Brandenburg aber nicht. Hinzu kommt, dass sie mit ihren angestellten unfreundlichen Auslegungen vor allem Ärztinnen benachteiligen. Diese Gruppe macht ob ihrer besonderen persönlichen Situation den Großteil teilzeitbeschäftigter Angestellter im ambulanten Bereich mit entsprechenden Arbeitsstunden pro Woche aus – Tendenz steigend. Wenn man dazu noch bedenkt, dass der Frauenanteil bei Ärzten stetig zunimmt, ist das Verhalten in den beiden KVen kurzsichtig, rückwärtsgewandt und mit Blick auf die anstehenden VV-Wahlen sogar undemokratisch.
Stichwort VV-Wahlen. Angesichts der kurzen Einspruchsfristen in den Wahlordnungen sollte jede/jeder, nicht nur teilzeitbeschäftigte Ärztinnen und Ärzte, Einsicht in die Wählerliste seiner KV nehmen – in Berlin liegen die Listen nur noch bis zum 18. April um Mitternacht aus – und prüfen, ob sie/er dort eventuell zu Unrecht nicht aufgeführt ist. Wenn dem so sein sollte, gilt es dagegen vorzugehen – gern auch mit der Unterstützung Ihres Marburger Bundes.