„Nehmen Sie sich Zeit für die Prüfung“
MB-Verbandsjuristen raten nachdrücklich: „Nie beim ersten Gespräch unterschreiben“
Online, 3. Dezember 2021 (jz). Ein maßgeblicher arbeitsrechtlicher Unterschied zwischen der Anstellung in der Klinik und einer im ambulanten Bereich ist ein fehlender flächendenkender Tarifvertrag. Der Marburger Bund als Gewerkschaft kann lediglich mit Arbeitgeberverbänden oder einzelnen Arbeitgebern Tarifverträge aushandeln. Es gibt jedoch noch keinen Arbeitgeberverband im ambulanten Bereich. Schließlich kann eine Kassenärztliche Vereinigung beispielsweise nicht als solcher fungieren, weil sie als Mitglieder sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer hat.
Das wirkt sich aus: Im ambulanten Bereich müssen Arbeitsverträge individuell verhandelt werden. „Alles, was für Sie wichtig ist, müssen Sie im Arbeitsvertrag festlegen. Was nicht darin steht, kann zu Problemen führen, oder Sie haben schlichtweg keinen Anspruch da¬rauf“, verdeutlichte RAin Elke Scheels, Verbandsjuristin beim MB Bayern. Gemeinsam mit RA Andreas Höffken, Ko-Landesgeschäftsführer des MB Nordrhein-Westfalen/Rheinland-Pfalz, beleuchtete sie beim MB-Live-Onlineseminar „Anstellung im ambulanten Bereich mit Tipps und Tricks von Ärztinnen und Ärzten, Juristinnen und Juristen das Feld Arbeitsrecht.
Beide mahnten mehrfach an, den Arbeitsvertrag für eine Tätigkeit in ambulanter Anstellung vor einer Unterschrift prüfen zu lassen – am besten durch MB-Juristen. „Nehmen Sie sich einige Tage Zeit für die Prüfung“, betonte Höffken mit Blick auf mögliche nachteilige Regelungen – der MB überprüft für seine Mitglieder kostenlos Arbeitsvertragsentwürfe. Eine Überprüfung sei üblich, unterstrich er: „Den Arbeitsvertrag nie beim ersten Gespräch unterschreiben!“
100 Arbeitsverträge überprüft
Die dezidierte Prüfung ist schon deshalb sinnvoll, weil die individualvertraglichen Vereinbarungen teils erheblich von den MB-Tarifstandards abweichen, wie Höffken in seinem Vortrag „Auswertungen aus dem Beratungsalltag“ untermauerte. Dazu hat er in Fleißarbeit stichprobenartig 100 Arbeitsverträgen aus MVZ und Arztpraxen im Bereich seines Landesverbandes überprüft und ausgewertet:
- Zum Beispiel ist in nur 10 Prozent der Verträge der regelmäßige Anstieg der Vergütung, die „Dynamisierung“ geregelt.
- In 71 Prozent sind zwar Überstunden vorgesehen, aber nur bei einem Drittel ist auch deren Bezahlung vereinbart.
- Fortbildungstage sind bei 37 Prozent geregelt.
- Gerade einmal 3 Prozent enthalten Regelungen zur betrieblichen Altersversorgung, Selbiges gilt für den Krankengeldzuschuss.
Zu Arbeitsvertragsverhandlungen gehören auch Gehaltsverhandlungen. Die Vergütung hängt laut Höffken etwa von der Berufserfahrung, der Fachrichtung und Zusatzqualifikationen, aber auch von Lage und Größe der Praxis respektive des MVZs ab. Er riet, sich am Oberarztgehalt des MB-Tarifvertrags mit den kommunalen Arbeitgebern (TV-Ärzte/VKA) zu orientieren, das sich aktuell auf etwa 8.000 Euro pro Monat beläuft. Denkbar seien zudem variable Vergütungsbestandteile via Umsatzbeteiligung oder Zielvereinbarung. Laut einer Studie der apoBank aus diesem Jahr im ambulanten Bereich sind bei einem Drittel umsatzabhängige Vergütungen vereinbart (27 Prozent). Der MB-Arbeitsrechtsexperte empfahl ein möglichst hohes Grundgehalt zu vereinbaren, um nicht wegen unvorhersehbarer Ereignisse (wie der Corona-Pandemie) Gehaltseinbußen hinnehmen zu müssen.
Förderung der Weiterbildung
Aus der apoBank-Gehaltsstudie geht auch hervor, dass ambulant tätig angestellte Ärztinnen 18 Prozent weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen. Höffken vermutet, dass ein Grund dafür im Wiedereinstieg in die ärztliche Tätigkeit beispielsweise nach einer Babypause liegen könnte und die Ärztinnen zurückhaltender verhandeln.
In Richtung der Ärztinnen und Ärzte, die ihre Weiterbildung im ambulanten Bereich absolvieren, verwies er auf § 75a SGB V, wonach Kassenärztliche Vereinigungen und Krankenkassen die Weiterbildung in den Praxen gesondert fördern. Aktuell beträgt der monatliche Gehaltszuschuss je Vollzeitstelle 5.000 Euro. Im Bereich der allgemeinmedizinischen Weiterbildung gibt es weitere Gehaltszuschüsse, wenn die weiterbildende Praxis in einem unterversorgten Gebiet oder in einem von Unterversorgung bedrohten Gebiet liegt. Der Förderbetrag orientiert sich an der im Krankenhaus üblichen Vergütung (TV-Ärzte/VKA). Zudem gilt, dass der Förderbetrag „durch die anstellende Praxis beziehungsweise das anstellende MVZ auf die vorgenannte im Krankenhaus übliche Vergütung anzuheben“ ist.
Lesen Sie hier, vor welchen Fallstricken RAin Scheels beim Arbeitsvertrag im ambulanten Bereich warnt.