Was bedeutet „halbtags beschäftigt“?
Definition der Mitgliedschaft in Teilzeit tätiger Ärztinnen und Ärzte in der KV / Wichtig nicht nur beim Wahlrecht
Von Stefanie Gehrlein
Die Wahlen zu den Vertreterversammlungen der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) 2016 rücken näher und damit eine nicht nur rechtliche, sondern auch politisch brisante Frage zur Auslegung von §77 Abs.3 Satz 2 SGB V. In dieser Vorschrift ist geregelt, dass angestellte Ärzte nur dann Mitglied in der zuständigen KV sind, wenn sie „mindestens halbtags beschäftigt“ sind. An die Mitgliedschaft ist logischerweise auch das aktive und passive Wahlrecht bei den bevorstehenden Vertreterversammlungs-Wahlen gekoppelt.
Damit stellt sich die interessante Frage, was unter einer mindest halbtäglichen Beschäftigung zu verstehen ist. Denkbar sind zwei Auslegungsmodelle für den zeitlichen Umfang: das „arbeits(zeit)rechtliche“ und das „bedarfsplanungsrechtliche“. Ersteres Modell knüpft an die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit an, wobei bereits deren Umfang strittig ist. Legt man als Maßstab das Arbeitszeitgesetz mit seiner Festlegung der durchschnittlichen täglichen Höchstarbeitszeit von 8 Stunden zugrunde, begönne eine Halbtagsbeschäftigung ab einer vertraglich vereinbarten Arbeitszeit von 20 Stunden. Orientiert man sich beispielsweise an (tarif- oder individual-)vertraglichen Regelungen, kann diese zeitliche Untergrenze aber auch niedriger oder höher liegen.
Zieht man bei der Auslegung allerdings die bedarfsplanungsrechtlichen Vorschriften hinzu und interpretiert §77 Abs.3 Satz 2 SGB V im Sinne eines „hälftigen Versorgungsauftrages“, findet die für eine KV-Mitgliedschaft erforderliche Halbtagsbeschäftigung bereits ab einer Anstellung mit mehr als 10 Wochenstunden statt. Nach §21 Abs.3 in Verbindung mit §§51/58 Bedarfsplanungs-Richtlinie werden angestellte Ärzte bereits ab einer vertraglich vereinbarten Arbeitszeit von 10 Wochenstunden mit einem Anrechnungsfaktor von 0,5 bei der Feststellung des lokalen Versorgungsgrades berücksichtigt. Dieser „hälftige Versorgungsauftrag“ eines angestellten Arztes bedeutet, dass er bedarfsplanungsrechtlich einen halben Vertragsarztsitz „besetzt“. Auch §17 Abs.1a Bundesmantelvertrag-Ärzte normiert für Ärzte mit Teilversorgungsauftrag eine Mindestpräsenz von 10 Stunden.
Eine wirkliche Hilfe bei der Interpretation bieten weder das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz, mit dem die Vorschrift 2007 eingeführt wurde, noch seine Begründung. Auch die Rechtsprechung der Sozialgerichte hat sich zwar bereits mit der Frage einer Mitgliedschaft unterhalbschichtig angestellter Ärzte, etwa im Zusammenhang mit dem ärztlichen Leiter eines MVZ beschäftigt, aber bisher nichts zur zeitlichen Auslegung des Begriffs gesagt. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes stellt aber zumindest in ihrer Terminologie darauf ab, dass angestellte Ärzte einen vollen oder hälftigen „Versorgungsauftrag“ wahrnehmen, und legt damit ganz klar die bedarfsplanungsrechtliche Betrachtungsweise zugrunde.
Angesichts dieser fehlenden Rechtssicherheit ist es denn auch nicht erstaunlich, dass die Satzungen der Kassenärztlichen Vereinigungen in dieser Frage uneinheitlich sind. Teilweise wiederholen sie schlicht den Gesetzeswortlaut und geben nicht zu erkennen, wie die jeweilige KV ihn interpretiert. Teilweise legen sie ihn bedarfsplanungsrechtlich aus und normieren eine Mitgliedschaft angestellter Ärzte, sobald die vom Zulassungsausschuss genehmigte wöchentliche Arbeitszeit 10 Stunden übersteigt. Einige KVen verlangen in ihrer Satzung eine wöchentliche vertragliche Arbeitszeit von mindestens 20 Stunden. Die KBV selbst hat sich für die bedarfsplanungsrechtliche Auslegung entschieden und versteht unter einer halben Stelle die „Stundenintervalle zwischen 10 und 20 Stunden/Woche.“
Für die betroffenen teilzeitbeschäftigten Ärztinnen und Ärzte mit einem Anstellungsumfang zwischen 10 und 20 Stunden – nach neuester KBV-Statistik immerhin 7000 bundesweit – hat diese Problematik uneinheitlicher Rechtsauffassung im KV-System weitreichende Folgen. Es beginnt bereits damit, dass sich der Bescheid des Zulassungsausschusses, der ihre Anstellung genehmigt, nicht an sie selbst richtet, sondern an ihren Arbeitgeber, also den Praxisinhaber oder das Medizinische Versorgungszentrum als Zulassungsinhaber. Ob die Betroffenen durch ihre Anstellung nun aus Sicht der KV auch als Mitglied angesehen werden oder nicht, merken sie eigentlich erst mit den Wahlen zu den KV-Vertreterversammlungen, die alle 6 Jahre stattfinden. Denn Voraussetzung für ein aktives und passives Wahlrecht ist nach der jeweiligen Wahlordnung die Mitgliedschaft in der KV.
Und so wird sich bei Einsicht in die Wählerlisten, die in den KV-Bezirken in diesem Frühjahr ausliegen, manch einer die Augen reiben, wenn er nicht als wahlberechtigt aufgeführt ist. Einige Kassenärztliche Vereinigungen, die als „besondere Freunde“ der angestellten Ärztinnen und Ärzte bekannt sind, haben die ungeklärte Frage kurz vor den Wahlen in ihrem eigenen Sinne gelöst und noch schnell durch Änderung der Satzung die Latte für die Mitgliedschaft mit 20 Stunden Wochenarbeitszeit so hoch wie möglich gehängt. Mit Blick auf die kurzen Einspruchsfristen in den Wahlordnungen sollte jeder, nicht nur teilzeitbeschäftigte Ärzte, Einsicht in die Wählerliste seiner KV nehmen und prüfen, ob er möglicherweise zu Unrecht dort nicht aufgeführt ist.
Aber auch unabhängig von ihrer Teilnahme an den Wahlen und der Inanspruchnahme sonstiger Selbstverwaltungsrechte ist es für angestellte Ärztinnen und Ärzte in der ambulanten Versorgung sicher wissenswert, ob sie Mitglied der KV sind oder nicht. Denn mit der Mitgliedschaft sind nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten und insbesondere die Unterordnung unter die Disziplinargewalt der KV verbunden.
Hinzu kommt, dass die Thematik insbesondere Ärztinnen betrifft, die aufgrund ihrer besonderen persönlichen Situation den Großteil teilzeitbeschäftigter Angestellter im ambulanten Sektor ausmachen, bei steigender Tendenz.
Es ist daher aus MB-Sicht, auch zur Sicherstellung einer einheitlichen Rechtsauslegung, in den KVen unbedingt notwendig, den Regelungsgehalt des §77 Abs.3 S. 2 SGB V klar zu definieren und den jetzigen Gegebenheiten anzupassen. Hier sprechen verschiedene Gründe für eine Normierung der bedarfsplanungsrechtlichen Auslegung. Neben dem Bedürfnis des einzelnen angestellten Arztes, eine klare Aussage über seinen Status mit allen Rechten und Pflichten zu erhalten, muss es auch Intention des Gesetzgebers sein, für eine weitgehende Gleichstellung angestellter Ärzte in der ambulanten Versorgung mit Vertragsärzten, aber auch ermächtigten Ärzten zu sorgen. Letztere nehmen regelhaft mit weit weniger als 20 Wochenstunden an der vertragsärztlichen Versorgung teil und sind unabhängig hiervon automatisch immer mit Wahlrecht ausgestattete Mitglieder der KV.
Die Große Koalition hat bereits mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz gezeigt, dass sie sich angesichts der zunehmenden Zahl angestellter Ärzte in der ambulanten Versorgung und zur Förderung kooperativer Strukturen für eine bessere Berücksichtigung dieser Gruppe einsetzen möchte, indem sie in verschiedenen Regelungen für eine Gleichstellung mit selbstständigen Vertragsärzten gesorgt und Anstellungen insgesamt erleichtert hat. Beispielhaft seien hier insbesondere die Änderungen des §106a SGB V genannt, der hinsichtlich der Prüfzeiten in der Plausibilitätsprüfung in seiner Neufassung nicht mehr auf die Arbeitszeiten der Angestellten abstellt, sondern eben auf den Versorgungsauftrag, sowie §46 Abs.4 Ärzte-ZV, der die Gebühren für Anstellungsgenehmigungen gegenüber denen für eine Zulassung um 50 Prozent reduziert.
Zur Autorin
Stefanie Gehrlein ist Justiziarin im MB-Bundesverband.