Eine stetig wachsende Ärztegruppe braucht ihre eigene engagierte Interessenvertretung im Selbstverwaltungssystem

Von Stefanie Gehrlein

Mit derselben Überschrift „Warum engagiert sich der MB für Sie?“ begann mein Artikel vor genau 6 Jahren im Vorfeld der Vorbereitung der Wahlen zu den KV-Vertreterversammlungen 2016. Seitdem hat sich vieles verändert, einiges ist aber auch gleichgeblieben.

Schon damals sprachen die Zahlen für sich: Es gab mehr als 26.000 angestellte Ärztinnen und Ärzte im ambulanten vertragsärztlichen Bereich, davon rund 12.000 in Medizinischen Versorgungszentren, Tendenz stark steigend. Sechs Jahre später haben sich die Zahlen fast verdoppelt. Mehr als 40.000 angestellte Ärzte arbeiten nun im vertragsärztlichen Bereich und jährlich werden es mehr.

Sie alle sind, sofern sie nach § 77 Abs. 3 SGB V einen Beschäftigungsumfang von mindestens 10 Wochenstunden haben, ebenso wie die große Gruppe der ermächtigten Ärzte, Pflichtmitglied ihrer regional zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung (KV). Wichtig zu wissen ist, dass Ärztinnen und Ärzte, die sich in Weiterbildung befinden („Weiterbildungsassistenten“), zwar auch angestellt sind, aber keine Mitglieder der KV und damit auch nicht wählbar und wahlberechtigt.

Die regionale Kassenärztliche Vereinigung gestaltet fast alle Regeln der ambulanten vertragsärztlichen Tätigkeit und ist damit auch für die in Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) und Praxen angestellten Ärzte sowie die ermächtigten Krankenhausärzte neben der Ärztekammer das wichtigste Selbstverwaltungsorgan.

Aber vertritt sie auch wirklich die Interessen dieser Gruppen? Traditionell sind die Gremien der KV und auch ihrer Dachorganisation Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) immer noch hauptsächlich mit niedergelassenen Vertragsärzten besetzt. Wenig überraschend wurden daher bis dato in erster Linie die berufspolitischen Ziele dieser Klientel verfolgt und weniger die Interessen der zunehmenden Zahl angestellter Ärzte und der ermächtigten Ärzte.

Feldzug gegen kooperative Strukturen

Diese Vermutung hat sich bereits an vielen Stellen bestätigt. Auf Bundesebene führt sowohl der Vorstand als auch die Vertreterversammlung (VV) der KBV seit langer Zeit eine Art Feldzug gegen kooperative Strukturen, in denen die angestellten Ärzte arbeiten, und für die wirtschaftlich selbstständige Niederlassung in der Einzelpraxis.

Nach dem langjährigen Credo des KBV-Vorsitzendem Dr. Andreas Gassen ist nur diese Leistungserbringerform der „Goldstandard“ in der ambulanten Versorgung und jede angestellte ärztliche Tätigkeit bedeutet eine Gefährdung der Freiberuflichkeit. Bestätigt wurde seine Ansicht schon vor Jahren durch Beschlüsse der KBV-Vertreterversammlung, also der Funktionäre auf Bundesebene, und ganz aktuell durch ein Interview mit den beiden KBV-Vorsitzenden in der Ärztezeitung aus dem Herbst 2021, in dem Gassen sich über die Ärztinnen und Ärzte in Anstellung wie folgt äußerte: „Wir müssen Versorgung sicherstellen. Die angestellten Kolleginnen und Kollegen machen keine schlechte Medizin, aber der Auftrag ist ein anderer. Als Angestellter habe ich klar umrissene Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten, die in der Regel deutlich unter 40 Stunden in der Woche liegen. Bei niedergelassenen Selbstständigen liegen sie deutlich über 50 oder 60 Stunden. Wenn ab morgen die gesamte Versorgung von angestellten Ärztinnen und Ärzten geleistet werden müsste, fehlten uns Zehntausende Kolleginnen und Kollegen.“

Und Dr. Stephan Hofmeister, Gassens Stellvertreter, ergänzte: „Wir ignorieren nicht den Trend zur Anstellung, wir sehen ihn und warnen davor, dass die Versorgung in Deutschland kollabiert. Denn Anstellung passt nicht zur Logik des SGB V. Die beruht auf WANZ (…) (…) wirtschaftlich, ausreichend, notwendig (…) Und das Zweite ist eben die Möglichkeit, über eine Streikandrohung andere Gehälter durchzusetzen. Der Marburger Bund hat vor vielen Jahren bewiesen, dass alleine diese Androhung zu ordentlichen Gehaltssteigerungen führen kann. Das muss uns klar sein und das wird zu einem Systemwechsel führen, vor dem wir warnen. Denn wenn das Ding einmal gekippt ist, gibt es einen Point of no Return. Eine KV kann nicht gleichzeitig für die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer da sein. Beim Juristen wäre das Mandantenverrat. Auch wenn es im Moment so ist, kann ich doch in einer Vertreterversammlung nicht gleichzeitig die Angestellten und deren Chefs vertreten.“

Dieses Interview illustriert das ganze Dilemma der „herkömmlichen“ KBV, die ausschließlich auf Niedergelassene ausgerichtet ist – rechtlich wie politisch.

Aber auch in den einzelnen KV-Bezirken auf Landesebene, in denen es hauptsächlich um Fragen der Honorarverteilung und auch um die Vergütung der Leistungen angestellter Ärzte geht, sieht es nicht viel besser aus. Nicht genug, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen jahrelang in unterschiedlicher Intensität beispielsweise die MVZ bekämpft haben, auch die Tätigkeit des einzelnen angestellten Arztes wurde und wird immer noch an vielen Stellen nicht der des Niedergelassenen in der wirtschaftlichen Bewertung und in der Akzeptanz durch die KV – etwa bei der Anwendung disziplinarischer Regeln – gleichgestellt.

Für rechtliche Gleichstellung

All dies erfordert eine starke Interessenvertretung der ambulant tätigen angestellten und ermächtigten Ärzte sowohl innerhalb als auch außerhalb des KV-Systems. Außerhalb ist dies schon seit geraumer Zeit der Marburger Bund, der nicht nur individuelle Beratung etwa bei Vertragsverhandlungen der Ärzte mit ihrem ambulanten Arbeitgeber sowie Musteranstellungsverträge bietet, sondern sich ebenso wie der Bundesverband Medizinischer Versorgungszen¬tren auch für die rechtliche Gleichstellung von selbstständigen und angestellten Ärzten einsetzt. Erfolgreich war dieses Bemühen bereits bei einzelnen Regelungen des Versorgungsstärkungsgesetzes, die für eine Angleichung von Arbeits- und Zulassungs- beziehungsweise Vertragsarztrecht, zum Beispiel hinsichtlich der zulässigen Vertretungsmöglichkeiten, sorgten. Trotz erster Erfolge bleibt aber immer noch viel zu tun. Der Marburger Bund engagiert sich hier verstärkt, da er bereits seit seiner Gründung die klassische Interessenvertretung angestellter Ärzte ist.
Mindestens ebenso wichtig ist es aber, sich auch innerhalb des KV-Systems zu engagieren. Eine Einflussnahme auf die Gestaltung der ureigensten Aufgaben der Selbstverwaltung, insbesondere die Honorarverteilung und die Vergütung der Leistungen angestellter Ärzte, aber auch viele andere Gestaltungs- und Rechtsfragen, ist nur über eigenes Engagement in Gremien der KV möglich. Dies kann auf verschiedene Weise geschehen: Für alle Kassenärztlichen Vereinigungen und die KBV ist die Einrichtung eines „Beratenden Fachausschusses angestellte Ärzte“ vorgeschrieben. Dieser soll dafür sorgen, dass eine entsprechende Mitbestimmung Angestellter sichergestellt wird. Die Mitglieder des Ausschusses müssen wie in vielen anderen Ausschüssen nicht mit Delegierten der Vertreterversammlung besetzt werden, eine einfache KV-Mitgliedschaft ist ausreichend. Alle Fachausschüsse, auch die zu anderen Themen, beraten nicht nur den Vorstand und die Vertreterversammlung in grund¬legenden Fragen, sondern sie müssen auch zu den sie betreffenden Themen angehört werden.

Ins „Parlament“ wählen lassen

Mindestens ebenso effektiv ist es, sich in das „Parlament“ der KV, die Vertreterversammlung, wählen zu lassen und an allen Grundsatzentscheidungen selbst mitzuwirken, so wie dies viele Ärzte auch in den Delegiertenversammlungen der Kammer tun.

Im Jahr 2022 werden zwischen Frühjahr und Herbst bundesweit in allen Bezirken Wahlen für die KV-Vertreterversammlungen stattfinden. Für die angestellten und ermächtigten Ärztinnen und Ärzte ist es sicher die beste Lösung, sich selbst für ihre Interessen in der KV zu engagieren und die verkrusteten Strukturen aufzubrechen. Denn in der ambulanten Versorgung nimmt nicht nur ihre Gesamtzahl drastisch zu, sondern damit verstärken sich auch andere Trends wie die Zunahme des Frauenanteils sowie der steigende Wunsch bei beiden Geschlechtern nach Teilzeittätigkeiten. Speziell für diese geänderten Bedürfnisse ist es absolut notwendig, eigene Rahmenbedingungen zu setzen, die ärztlichen Rechte und Pflichten mitzugestalten und strukturelle Benachteiligungen angestellter Ärzte im KV-System zu verhindern.

Der Marburger Bund wird jede Ärztin und jeden Arzt, die beziehungsweise der sich dieser Herausforderung stellen möchte, bestmöglich unterstützen. Fragen Sie beim MB-Bundesverband oder Ihrem MB-Landesverband nach.

Zur Autorin
Stefanie Gehrlein ist Justiziarin im MB-Bundesverband (März 2022).

gehrlein@marburger-bund.de


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