Eine stetig wachsende Ärztegruppe braucht ihre eigene engagierte Interessenvertretung im Selbstverwaltungssystem
Von Stefanie Gehrlein
Die Zahlen sprechen für sich: Es gibt derzeit über 26.000 angestellte Ärztinnen und Ärzte im ambulanten Sektor, davon rund 12.000 in Medizinischen Versorgungszentren, Tendenz stark steigend.
Sie alle, sofern sie mindestens einen hälftigen Versorgungsauftrag erfüllen, sind ebenso wie die ermächtigten Ärzte Pflichtmitglied ihrer regional zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung (KV). Diese gestaltet fast alle Regeln der ambulanten Tätigkeit und ist damit auch für die in Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) und Praxen angestellten Ärzte neben der Ärztekammer das wichtigste Selbstverwaltungsorgan.
Aber vertritt sie auch wirklich die Interessen dieser Gruppe? Traditionell sind die Gremien der KV und auch ihrer Dachorganisation KBV mit niedergelassenen Vertragsärzten besetzt. Wenig überraschend werden daher in erster Linie die berufspolitischen Ziele dieser Klientel verfolgt. Diese ist zudem meist männlich und in fortgeschrittenem Alter – laut Dr. Köhler, dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der KBV, liegt das Durchschnittsalter der KV-Funktionäre „bei über 63“. Damit liegt auf der Hand, dass die Interessenlage der zunehmenden Zahl Angestellter, die bereits jetzt einen Anteil von 16% aller ambulant tätigen Ärzte ausmacht und wahrscheinlich bereits zum Jahreswechsel die 30.000-Marke überschritten haben wird, wenig Berücksichtigung findet.
Diese Vermutung hat sich bereits an vielen Stellen bestätigt. Auf Bundesebene führt sowohl der Vorstand als auch die Vertreterversammlung (VV) der KBV seit langer Zeit eine Art Feldzug gegen kooperative Strukturen, in denen die angestellten Ärzte arbeiten, und für die wirtschaftlich selbstständige Niederlassung in Einzelpraxis. Laut KBV-Vorstandsvorsitzendem Dr. Andreas Gassen ist nur diese Leistungserbringerform der „Goldstandard“ in der ambulanten Versorgung und jede angestellte ärztliche Tätigkeit bedeutet eine Gefährdung der Freiberuflichkeit. Bestätigt wurde seine Ansicht durch Beschlüsse der KBV-VV, also der Funktionäre auf Bundesebene.
Aber auch in den einzelnen KV-Bezirken auf Landesebene, in denen es hauptsächlich um Fragen der Honorarverteilung und auch um die Vergütung der Leistungen angestellter Ärzte geht, sieht es nicht viel besser aus. Nicht genug, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen jahrelang in unterschiedlicher Intensität beispielsweise die MVZ bekämpft haben, auch die Tätigkeit des einzelnen angestellten Arztes wurde und wird immer noch an vielen Stellen nicht der des Niedergelassenen in der wirtschaftlichen Bewertung und in der Akzeptanz durch die KV – etwa bei der Anwendung disziplinarischer Regeln – gleichgestellt.
All dies erfordert eine starke Interessenvertretung der ambulant tätigen angestellten Ärzte sowohl innerhalb als auch außerhalb des KV-Systems. Außerhalb ist dies schon seit geraumer Zeit der Marburger Bund, der nicht nur individuelle Beratung etwa bei Vertragsverhandlungen der Ärzte mit ihrem ambulanten Arbeitgeber sowie Musterverträge bietet, sondern sich ebenso wie der Bundesverband Medizinischer Versorgungszentren (BMVZ) auch für die rechtliche Gleichstellung von selbstständigen und angestellten Ärzten einsetzt. Erfolgreich war dieses Bemühen bereits bei einzelnen Regelungen des Versorgungsstärkungsgesetzes, die für eine Angleichung von Arbeits- und Zulassungsrecht, z.B. hinsichtlich der zulässigen Vertretungsmöglichkeiten, sorgen. Trotz erster Erfolge bleibt noch viel zu tun. Der Marburger Bund wird sich hier verstärkt engagieren, da er bereits seit seiner Gründung die klassische Interessenvertretung angestellter Ärzte ist.
Mindestens ebenso wichtig ist es aber, sich auch innerhalb des KV-Systems zu engagieren. Eine Einflussnahme auf die Gestaltung der ureigensten Aufgaben der Selbstverwaltung, insbesondere die Honorarverteilung und die Vergütung der Leistungen angestellter Ärzte, aber auch viele andere Gestaltungs- und Rechtsfragen, ist nur über eigenes Engagement in Gremien der KV möglich. Dies kann auf verschiedene Weise geschehen: Ab dem 1. Januar ist durch das Versorgungsstärkungsgesetz für alle Kassenärztlichen Vereinigungen und die KBV die Einrichtung eines „Beratenden Fachausschusses angestellte Ärzte“ vorgeschrieben. Dieser soll dafür sorgen, dass eine entsprechende Mitbestimmung Angestellter sichergestellt wird. Die Mitglieder des Ausschusses müssen wie in vielen anderen Ausschüssen nicht mit Delegierten der Vertreterversammlung besetzt werden, eine einfache KV-Mitgliedschaft ist ausreichend.
Noch effektiver ist es, sich in das „Parlament“ der KV, die Vertreterversammlung, wählen zu lassen und an allen Grundsatzentscheidungen selbst mitzuwirken, so wie dies viele Ärzte auch in den Delegiertenversammlungen der Kammer tun.
Im Jahr 2016 werden das nächste Mal bundesweit in allen Bezirken Wahlen für die KV-Vertreterversammlungen stattfinden. Die „Vorwehen“ sind bereits jetzt zu spüren: Dr. Köhler als Ehrenvorsitzender des Spitzenverbandes der Fachärzte (SpiFa) spürt eine „dramatische Veränderung“ durch die starke Zunahme der Angestelltenverhältnisse und fordert das KV-System, dessen Geschicke er als hauptamtlicher Vorstandsvorsitzender der KBV langjährig gelenkt hat, zu einem Umdenken und neuem Selbstverständnis auf. Ärztliche Freiberuflichkeit dürfe nicht mehr mit wirtschaftlicher Selbstständigkeit gleichgesetzt werden. Dies heißt im Klartext: Kümmert euch mehr um die angestellten Ärzte!
Ganz von ungefähr kommt dieser Sinneswandel nicht: Die Kassenärztlichen Vereinigungen haben einen Auftrag zur Sicherstellung der ambulanten Versorgung, dem sie in einigen Regionen kaum noch nachkommen können. Dr. Köhler spricht von einer bevorstehenden „Versteppung“ ganzer Bundesländer, der nur durch entsprechende kooperative Trägerstrukturen begegnet werden könne. Nicht nur das: Er kann sich sogar für eine Mitgliedschaft der MVZ selbst in den Kassenärztlichen Vereinigungen erwärmen. Neue Töne und eine 180-Grad-Wende für einen Funktionär, der jahrelang ein erbitterter Gegner dieser neuen Entwicklung war. Auch heute blitzt das alte Denken noch manchmal auf, wenn er die Angestelltenverhältnisse nicht überhandnehmen lassen möchte, um die Freiberuflichkeit zu erhalten und eine Balance mit den Selbstständigen zu schaffen.
Für die angestellten und ermächtigten Ärztinnen und Ärzte ist es sicher die beste Lösung, sich selbst für ihre Interessen in der KV zu engagieren und die verkrusteten Strukturen aufzubrechen. Denn in der ambulanten Versorgung nimmt nicht nur ihre Gesamtzahl drastisch zu, sondern damit verstärken sich auch andere Trends: Bei den ambulant tätigen Ärzten, die jünger als 34 Jahre alt sind, betrug der Frauenanteil 2014 bereits 72,6% bei weiter steigender Tendenz. Mit diesem Trend einher geht der steigende Wunsch bei beiden Geschlechtern nach Teilzeittätigkeiten. Speziell für diese geänderten Bedürfnisse ist es absolut notwendig, eigene Rahmenbedingungen zu setzen, die ärztlichen Rechte und Pflichten mitzugestalten und strukturelle Benachteiligungen angestellter Ärzte im KV-System zu verhindern.
Der Marburger Bund wird jede Ärztin und jeden Arzt, die bzw. der sich dieser Herausforderung stellen möchte, bestmöglich unterstützen. Fragen Sie beim MB-Bundesverband oder Ihrem MB-Landesverband nach.
Zur Autorin
Stefanie Gehrlein ist Justiziarin im MB-Bundesverband.